Stretching: Fang endlich an "richtig" zu trainieren!

Egal ob im Fußball, Handball, Leichtathletik oder im Schwimmen: die meisten Sportler wissen um den Wert des
Krafttrainings oder Ausdauertrainings für ihre Sportart. Aber wie sieht es mit Stretching aus?
Machen wir uns nichts vor: Stretching ist für die meisten Sportler die reinste Pest oder bestenfalls etwas, was
man halt absolvieren muss, weil es irgendwie dazu gehört. Die Trainer sehen das häufig ebenso.
Und so haben wir heute Trainer und Sportler, die allenfalls einige wenige Stretching-Übungen kennen, die zudem
auch wenig differenziert ausgeführt werden.
Ich frage mich, wie es so weit kommen konnte, dass Stretching
vielfach überhaupt nicht trainiert wird? Meines Erachtens liegt das an der völlig indifferenten
Studienlage zu diesem Thema, wie ich im Laufe dieses Beitrags zeigen werde.
Zeit um Klartext zu reden! Und fang endlich an, RICHTIG zu trainieren.
Bevor ich zu diesen Studien komme, lassen Sie mich gleich mal die wichtigsten Punkte zum Stretching
zusammenfassen. Also: Klartext. Die Studien und Untersuchungen zeigen eines ganz deutlich: Stretching verbessert
die Gelenkigkeit und Flexibilität. Des Weiteren schützt das Stretching vor Verletzungen, wie zum Beispiel
Muskelzerrungen.
Bevor ich jetzt weiterschreibe, machen wir nochmal kurz einen Schritt zurück. Und zwar zu den sportmotorischen
Komponenten oder Grundfähigkeiten. Davon gibt es per Definition fünf Stück:
Diese fünf Komponenten bekommt jeder Sportwissenschaftler, Sportlehrer und Trainer in jedem Grundlagenkurs als
erstes ins Gehirn gehämmert. Nur: Was dann?
Wann haben wir eigentlich damit angefangen uns nur noch mit Krafttraining und Ausdauertraining zu beschäftigen?
Gut: Schnelligkeit, für die, die es in ihrer Sportart brauchen - das wurde auch schon immer trainiert.
Und dann kamen vor ca. 20 Jahren die Therapeuten und brachten den Wert der Koordination für alle Sportler ins
Spiel. Seitdem höre ich immer das Gleiche Mantra: Propriozeption, Propriozeption! Tiefensensibilität und
Stabilität! Die kleinen Steuermuskeln müssen trainiert werden!
Fein: Das ist ja alles mehr oder weniger richtig. Ob das alles auch so stimmt, steht auf einem ganz anderen
Blatt (und Bedarf eines weiteren Artikels). Worauf ich aber hinaus will (Sie ahnen es schon): Die
Beweglichkeit.
Denn Stretching ist ja nur eine Methode. Die "Komponente" um die es wirklich geht, ist die Beweglichkeit.
Die meisten Fitnesstrainer,
Physiotherapeuten und Sportlehrer (die bei mir in der Fortbildung sind) schauen dann interessiert und Fragen:
"Ja, und? Wo ist das Problem? Mein Fußballer kann über den Platz laufen.
Das reicht doch, oder?"
Meine Antwort: Nein, das reicht nicht. Denn wenn wir die Komponente Beweglichkeit wirklich ernst nehmen, dann
muss jedes Gelenk seinen vollen normalen Bewegungsradius haben. Falls Sie lieber Leser jetzt sagen: Habe ich, wo
ist das Problem?, dann kann ich nur sagen, dass ich keinen "Normal-Bürger" und auch fast keinen Leistungssportler
kenne, bei dem das in allen Gelenken des Körpers gegeben ist. Und ich rede von "Normal"-Beweglichkeit, wie diese in
jedem Anatomie-Lehrbuch für Studierende der Medizin nachzulesen ist.
Viel zu oft sehe ich enorme Abweichungen in der Beweglichkeit, zum Beispiel in einem Gelenk selbst, aber auch im
Vergleich von einem Gelenk zum Anderen (z.Bsp: Hüfte links zu Hüfte rechts). Aus dieser Minderbeweglichkeit
resultieren nach meiner Erfahrung die verschiedensten Problem: Gelenk-Verschleiß, Schmerzen und eine erhöhte
Verletzungsanfälligkeit. Alleine aus dieser Überlegung heraus sollte jedem Menschen (und vor allem auch jedem
Leistungssportler) daran gelegen sein, das optimale Gelenkspiel und optimale Bewegungsradien in allen Gelenken zu
haben.
Dieses Optimum erreicht man nicht, indem man "nur" zur Massage oder zum "einrenken" (Chiropraktiker) oder (ganz
modern!) zum Osteopathen geht. Nein, man muss Beweglichkeit schon üben - so wie die anderen Grundfertigkeiten Kraft
oder Ausdauer auch.
Die Methode dazu: Stretching. Oder auf deutsch: Dehnen.
Leider hat die Sportwissenschaft in den letzten 20 Jahren ganze Arbeit geleistet um zu völlig verqueren Aussagen
bezüglich des Stretchings zu kommen. Aber dazu später mehr. Schauen wir uns erst einmal die Definition an.
Stretching ist das englische Wort für strecken, dehnen oder spannen. Inzwischen hat dieses Wort Einzug gehalten
in das Reservoir der Gesundheitspflege und bedeutet hier soviel wie „Dehngymnastik". Bei Wikipedia erfahren wir
über diese Form der Gymnastik folgendes:
„Dehngymnastik ist eine Übungsform im Rahmen des sportlichen Trainings, bei der Muskeln unter Zugspannung
gesetzt werden, um eine verbesserte Beweglichkeit und Gelenkigkeit zu erreichen, inklusive der damit
verbundenen sporttechnischen wie auch konditionellen Optimierung" (https://de.wikipedia.org/wiki/Dehngymnastik).
Wenn man sich diese Definition anschaut, dann scheint das nur für Sportler eine Bedeutung zu haben. Und was ist
mit all den Patienten, die die von mir oben beschriebene "Normalbeweglichkeit" nicht haben? Müssen die Sportler
werden um Stretching zu betreiben? Oder ist man ein Sportler wenn man Stretching betreibt?
Aber Nein: Wikipedia erklärt uns ja, dass Stretching ja nur etwas ist, was man "im Rahmen des sportlichen
Trainings" absolviert. Und so nebenbei bemerkt: Wie kann denn eine Optimierung "sporttechnisch" sein? Naja, lassen
wir das...
Verschiedene Formen des Stretchings
Nur der Übersicht halber, es gibt:
- passiv-statisches Stretching (die bekannteste Dehnung)
- passiv-dynamisches Stretching (mit Hilfe eines Partners)
- aktiv-statisches Stretching
- aktiv-dynamisches Stretching (auch: ballistisches Dehnen)
- postisometrisches Stretching (auch: Anspannungs-Entspannungs-Dehnen [AED] oder
"Contract-Hold-Relax-Stretching [CHRS])
- bewegt-statisches Stretching

Abb.1: Der Hürdensitz. Diese Beweglichkeitsübung / Stretching-Übung kennt eigentlich fast
jeder. Manchen Sportlehrern wurde in den letzten Jahren tatsächlich vermittelt, dass diese Übung nicht mehr
trainiert werden sollte. Wie bitte? Warum denn das? Jede Erklärung die mir diesbezüglich bisher von
Experten geliefert wurde, zerreiße ich innerhalb von 3 Minuten in der Luft. Und dabei habe ich mich die ersten
beiden Minuten schon halb totgelacht. Und man komme mir bitte bloß nicht mit Selbstverständlichkeiten wie
künstlichen Hüftgelenken oder Hüftdysplasien. Das ist so albern, wie einem Stummen Gesangsunterricht erteilen zu
wollen.

Abb.2: Stretching für das obere Sprungelenk und die vordere Schienbeinmuskulatur (vordere
Extensoren: Mm. tibialis anterior, extensor digitorum longus und extensor hallucis longus). Ich erwähne die Muskeln
hier eigentlich nur, weil es manche wissen möchten. Muskeln selbst können wir nicht dehnen, wohl aber die faszialen
Strukturen, Kapsel, Bänder usw. Und die haben es bitter nötig! In der Abbildung sieht man eine sehr
fortgeschrittene Übung. Die Athletin liegt mit einem großen Teil ihres Körpergewichts auf dem Unterschenkel, um die
Zugspannung zu verstärken. Hierbei handelt es sich um das klassische passive-statische Dehnen. Wenn die Athletin
jedoch ihren rechten Fuß anspannt (und damit die o.a. Muskeln), haben wir ein perfektes isometrisches
Krafttraining. Wenn sie danach die Spannung wieder löst, hat sie die postisometrische Dehnung / Stretching. Diese
Übung ist zum Beispiel das Mittel der Wahl bei fast allen Schmerzzuständen, die sich im vorderen
Unterschenkelbereich abspielen. Am bekanntesten ist das Tibiakantensyndrom (auch: Schienbeinkantensyndrom
oder Shin Splint, gerne auch als Knochenhautentzündung am Schienbein diagnostiziert). Die richtige
Intensität, Übungsdauer, Trainingshäufigkeit und vor allem die zweckmäßige Übungsausführung (Gelenkwinkel!) -
und dieses geradezu "alberne" Schmerzsyndrom ist Vergangenheit (in über 90% der Fälle). Leider wissen die
allermeisten Trainer und Therapeuten diesbezüglich viel zu wenig.
Zurück zur Stretching-Form:
Meine Erfahrungen und auch die mir vorliegenden Studien belegen relativ deutlich: die postisometrische
Stretching-Methode ist die effektivste Methode - jedenfalls was die Besserung der Bewegungsreichweite
anbelangt.
Eine Kombination der Methoden ergibt meiner Erfahrung nach allerdings noch bessere Ergebnisse. Wie man die
Methoden effektiv kombiniert, zeige ich übrigens in jeder Fitnessberater-Ausbildung.
Eine weitere relativ häufige Frage ist:
- Wann sollte das Stretching ausgeführt werden?
- Und wie lange sollte so eine Trainingseinheit dauern?
Beim Stretching wird da durchaus zwischen einem "Kurzzeitdehnen" und "Langzeitdehnen" unterschieden. Das
kurzzeitige Stretching ist ein 10- bis 30-minütiges Dehnprogramm, wie es z.B. zur Vorbereitung bei Wettkämpfen
durchgeführt wird. Es soll zur Verbesserung der "Gelenkreichweite" und / oder auch "Leistungsfähigkeit" dienen. Des
Weiteren soll ein gründliches Dehnen vor einer sportlichen Betätigung zur Vermeidung von Verletzungen gut sein.
Ein langfristiges Dehnprogramm zeichnet sich durch regelmäßige, mehrmonatige Dehnübungen, die täglich oder
mehrmals in der Woche und, wie das Kurzzeitdehnen, zwischen 10 und 30 oder mehr Minuten ausgeführt werden.
Die Effekte eines Langzeitdehn-Programms sind vielfältig:
- Verlängerung der myofaszialen Strukturen
- Beseitigung von Dysbalancen
- Prophylaxe gegen Kontrakturen
- Herabsetzung der Ruhespannung des Muskels (Tonus)
- Erhöhung, bzw. Erreichung der normalen / optimalen Gelenkreichweite (ROM, range of motion)
- Prophylaxe gegen Muskelverletzungen und eine generelle Verbesserung der Leistungsfähigkeit der
Muskulatur.
Ich persönliche halte diese Unterscheidung in Langfristprogramme usw. für verwirrend und überhaupt nicht
zielführend. Meiner Ansicht nach, sollte bei jedem Patienten und auch jedem Sportler spezifisch darauf
hingearbeitet werden, dass die Dysbalancen abgebaut werden und jedes Gelenk frei beweglich ist, sowie in jedem
Winkel eine entsprechende Kraftkurve aufweisen kann.
Trainer die so etwas wirklich können (und auch vermitteln können), sind meiner Erfahrung nach relativ selten.
Wenn Sie eine Personal Trainerin brauchen,
die das in Perfektion beherrscht: Melanie Bieker (bei Koblenz im Westerwald).
So. Jetzt aber mal weiter zu der "irren" Studienlage...
Studien zum Stretching - Mehr Irrungen und Wirrungen, als brauchbare Erkenntnisse
Verschiedene Quellen berichten sogar von einer Zunahme der Muskelkraft durch ein "gut durchgeführtes"
Stretching, wie es sonst nur ein Krafttraining mittels Gewichte stemmen zustande bringt (https://naturecastproducts.com/stretchmatic/). In diesem Bericht
werden Studien dazu zitiert, leider aber nicht deren Originalquellen. Offen bleibt auch was ein "gut
durchgeführtes" Stretching ausmacht.
Aber ein Blick in PubMed (Wissenschaftsdatenbank) und vor allem die Beurteilung von Dehnübungen ist auch nicht
besonders erhellend - eher im Gegenteil.
Rubini et al.: „The effects of stretching on strength performance.", Universidade Estácio de Sá,
Rio de Janeiro, Brazil. Sports Med. 2007;37(3):213-24. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17326697: Verbesserung von
Stärke und Flexibilität sind beliebte Bestandteile von Trainingsprogrammen. Normalerweise beginnen Athleten,
Trainer und Fitness Übende ihre Trainingseinheiten mit einem Dehnprogramm. So werden Dehnübungen allgemein
empfohlen, sogar in Lehrbüchern, mit dem Hinweis auf eine Vermeidung von Verletzungen und Muskelkater und sogar auf
eine mögliche Leistungssteigerung. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Belege für diese Empfehlungen. Von
daher ist das Ziel der vorliegenden Arbeit festzulegen, inwieweit es akute und langfristige Effekte von
Dehnprogrammen auf die muskuläre Leistungsfähigkeit gibt, zusammen mit den Mechanismen, die dieser Beobachtung
zugrunde liegen. Die meisten Studien haben gezeigt, dass das Stretching eine akute Abnahme der Muskelkraft bewirkt,
und dass die Abnahme deutlicher ausfällt, je länger die Dehnübung ausgeführt wird. Aber hier lagen die Zahl der
Dehnübungen, Wiederholungen und deren Dauer deutlich über den empfohlenen Angaben aus der Literatur. Von daher
waren die Stimuli besonders hoch im Vergleich zu "normalen" Bedingungen. Dies zeigt die Notwendigkeit von weiteren
Untersuchungen in diesem Bereich, schließen die Autoren.
Zunächst lassen die Ausführungen der Autoren dieser Studie die Vermutung zu, dass Stretching nicht per se in der
Lage ist, die Muskelkraft zu erhöhen. Zumindest ein exzessiv betriebenes Stretching scheint sich hier gegenteilig
auszuwirken. Von daher fordern die Autoren weitere Untersuchungen, um festzustellen, ob Stretching hier positive
Effekte zu leisten vermag und in welchem Rahmen sich das Programm dafür bewegen muss. Meine Meinung: Die Komponente
Kraft kann viel besser anders trainiert werden. Dazu muss man keine "Stretching-Studie" durchführen.
Der Vollständigkeit halber hier noch andere Studien, die keine Zunahme der Muskelkraft beobachten konnten:
Alle diese Studien stellen eine Abnahme der Muskelkraft fest oder keine Veränderung.
Signifikante Veränderungen jedoch berichten fast alle genannten Studien bei der Flexibilität und der
Gelenkreichweite, die einheitlich zunimmt. Nur eine Studie empfiehlt statische Dehnungsübungen für Anfänger beim
Gewichtheben in Verbindung mit einem progressiven Krafttraining (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20124795).
Darüber hinaus gibt es jedoch einige Hinweise, die ein dynamisches Stretching als deutlich günstiger ansehen als
das statische.
Samuel et al.: „Acute effects of static and ballistic stretching on measures of strength and
power.", Sports Injury Research Center, University of Nevada, Las Vegas, USA. J Strength Cond Res. 2008
Sep;22(5):1422-8. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18714248: Die Autoren dieser
Studie beobachteten ebenfalls eine Abnahme der Muskelkraft in den unteren Extremitäten, was für die Autoren als
Überraschung kam. Diese Abnahme war aber nicht so ausgeprägt, dass sie einen signifikanten Einfluss auf den
Weitsprung hatte, der als Leistungsparameter von den Probanden ausgeführt wurde. Die Autoren raten wegen der
widersprüchlichen Ergebnisse, statt des statischen das dynamische Stretching zu bevorzugen. Dies sei mittlerweile
auch in der Literatur die empfohlene Art des Stretchings.
Sekir et al.:„Acute effects of static and dynamic stretching on leg flexor and extensor isokinetic
strength in elite women athletes." Department of Sports Medicine, Medical School of Uludag University, Bursa,
Turkey. Scand J Med Sci Sports. 2010 Apr;20(2):268-81. Epub 2009 Apr 15. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19486475: Diese Studie
unterstützt die eben diskutierte Studie vom Sports Injury Research Center in Las Vegas. Hier wurden besonders die
möglichen Unterschiede zwischen statischem und dynamischem Stretching an 10 Hochleistungssportlerinnen untersucht.
Beim statischen Stretching wurde auch hier eine deutliche Abnahme der Muskelkraft in den unteren Extremitäten
beobachtet. Umgekehrt wurde eine signifikante Zunahme der Muskelkraft beim dynamischen Stretching beschrieben. Die
beobachteten Unterschiede wurden auch in der durchgeführten Elektromyografie reflektiert und bestätigt. Deshalb
empfehlen die Autoren für ein Aufwärmen vor einem Wettkampf ein dynamisches Stretching. Die Autoren geben
allerdings keine Auskunft darüber, ob sich ein dynamisches Stretching als Ersatz für ein Krafttraining eignet oder
ob es sich für ein solches Programm als Unterstützung eignet.
Ganz viele Studien drehen sich darum ob Stretching eine Leistungssteigerung (meist im Sinne von Kraft) bringt
oder eben nicht. Eine Reihe von interessanten Veröffentlichungen von Klee und Wieman zu den verschiedenen
Fragestellungen des Stretchings bestätigt im Wesentlichen die zuvor angeführten Studien:
Mittlerweile dürfte ich ja klar gemacht haben, dass dies für mich die völlig falsche Fragestellung ist. Zum
Glück gibt es auch Forscher, die sich bezüglich Stretching auch ganz andere Fragen stellen: zum Beispiel die
Schwangerschaftshypertonie (Bluthochdruck während der Schwangerschaft):
Yeo S.: „Prenatal stretching exercise and autonomic responses: preliminary data and a model for reducing
preeclampsia." University of North Carolina at Chapel Hill, School of Nursing, Chapel Hill, NC, USA. J Nurs
Scholarsh. 2010 Jun;42(2):113-21. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20618595 - Während
das Stretching die Muskelkraft kaum oder nur wenig beeinflusst, gibt es Hinweise, dass es bei
Schwangerschaftshypertonie gute Effekte zeigt. Schwangerschaftshypertonien sind gefährlich für Mutter und Kind.
Darum sind die Gynäkologen und Kinderärzte darauf bedacht, Hypertonien während der Schwangerschaft zu unterbinden.
So hatten die Autoren dieser Studie sich das Ziel gesetzt, Dehnübungen, deren Effekte auf das Herz-Kreislauf-System
und die Entwicklung von Schwangerschaftshypertonien zu beschreiben. Dazu wurden Studien herangezogen, die
entsprechendes Datenmaterial zur Verfügung stellen konnten, und analysiert. Als Ergebnis konnten die Autoren
festhalten, dass die Herzfrequenzen der Schwangeren, die täglich Dehnübungen durchführten, beginnend mit der 18.
Schwangerschaftswoche bis zum Ende der Schwangerschaft, deutlich niedriger ausfielen als bei Frauen, die keine
Dehnübungen durchführten, sondern stattdessen wanderten / liefen. Die Autoren schlossen daraus, dass Stretching
einen nützlichen Effekt auf das Herz-Kreislauf-System ausübt, was die Entwicklung von schwangerschaftsbedingten
Hypertonien verhindern kann. Da aber die Mechanismen für diese Beobachtung noch nicht bekannt sind, und da die
Studie keine „normale", prospektive Studie mit randomisierten Probanden ist, können solche Aussagen nur unter
Vorbehalt gemacht werden.
Über weitere interessante Studien bezüglich Stretching berichtete ich auch in meinen
Beiträgen:
Ich kann nur dazu raten, einmal über die Bedeutung dieser Studien nachzudenken!
Fazit
Es kann als gesichert angesehen werden, dass Stretching die Beweglichkeit verbessert. Des Weiteren schützt das
Stretching vor Verletzungen, wie Muskelzerrungen z.B. Allerdings ist bislang nicht bekannt, ob dieser Effekt ein
Kurzzeit- oder Langzeiteffekt des Stretchings ist. Einen günstigen Effekt auf Muskelkater können die
Wissenschaftler nicht bestätigen. Das gleiche gilt auch für eine fragliche Erhöhung der Muskelkraft. Diese wurde
zwar beim dynamischen Stretching beobachtet. Jedoch ist es kaum anzunehmen, dass diese Veränderungen in der
Muskelkraft ausreichend sind, ein Krafttraining zu ersetzen.
Die meisten Studien haben meines Erachtens allerdings den falschen Ansatz gewählt. Viel zu wenige Studien
beleuchten die gesundheitlichen Vorteile, wenn:
- die "normale" Beweglichkeit jedes Gelenks wiederhergestellt ist
- in jedem Winkel des Gelenks eine entsprechende Kraftkurve aufgebaut werden kann
- alle Strukturen um die Gelenke herum im Gleichgewicht sind (Kraft, Tonus)
Wenn diese Faktoren nämlich gegeben sind, dann kann man nämlich wirklich mit einem uneingeschränkten
Krafttraining, Ausdauertraining oder Schnelligkeitstraining beginnen - und zwar frei von Verletzungen und
Schmerzen. Und ich verrate nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass es einige Hochleistungssportler gibt, die genau
dieses Prinzip beherzigen und Leistungen auf Weltklasse-Niveau bringen: ohne Schmerzmittel und seit Jahren ohne
Verletzungen.
Das Problem: Es gibt kaum Trainer, die die Kenntnisse besitzen um diese Effekte herbeizuführen.
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