Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse legt nahe, dass Kreatin nur eine „triviale bis geringe Wirkung“ auf das Muskelwachstum hat. In diesem Artikel soll untersucht werden, ob dies wirklich der Fall ist, denn immerhin ist Kreatin das beliebteste Nahrungsergänzungsmittel unter männlichen Bodybuildern, wie eine Studie aus dem Jahr 2022 zeigt, und die praktische Erfahrung bestätigt dies.

Im Jahr 2003 veröffentlichte Dr. J. David Branch eine sehr umfangreiche Meta-Analyse, die die bis dahin erschienene Kreatin-Literatur zusammenfasste. Dabei handelte es sich um ca. 100 Studien, von denen sich ein Drittel mit der Wirkung von Kreatin auf die fettfreie Körpermasse befasste. Das Ergebnis dieser Metaanalyse war damals, dass Kreatin einen kleinen signifikanten Effekt (ES = 0,33) auf die fettfreie Körpermasse hat.

Nun sind aber, wie viele wissen, fettfreie Körpermasse und Muskelmasse nicht immer dasselbe. Erstere enthält unter anderem auch Wassereinlagerungen. Kreatin neigt bekanntlich zu Wassereinlagerungen, was in vielen Fällen (zunächst) als Muskelzuwachs interpretiert wurde.

Es wäre daher wesentlich sinnvoller, nur solche Studien in eine Metaanalyse einzubeziehen, die sich auf die Muskeldicke oder die Muskelquerschnittsfläche konzentrieren.

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Inzwischen liegen einige solcher Studien vor, die eine gute Grundlage für eine neue Meta-Analyse zu diesem Thema bilden würden. Burke et al. identifizierten mehrere Studien, die die folgenden Einschlusskriterien erfüllten:

  1. Die Studien sollten Krafttraining mit und ohne Kreatin-Supplementierung vergleichen, das über mindestens sechs Wochen konsequent durchgeführt wurde.
  2. Die Teilnehmer müssen gesunde Erwachsene sein.
  3. Die Studien sollen in englischsprachigen Fachzeitschriften (peer-reviewed) veröffentlicht worden sein.
  4. Die Muskelgrößen müssen vor und nach dem Training direkt mittels Ultraschall, Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) gemessen worden sein.
  5. Ausschließlich die Beurteilung der Wirkung des Kreatins soll gegeben sein, das heißt, die Probanden dürfen keine anderen potenziell anabolen Inhaltsstoffe einnehmen.

Letztlich erfüllten elf Studien all diese Kriterien und wurden in die neue Meta-Analyse aufgenommen. Deren Ergebnis lässt sich schon gleich an dieser Stelle so zusammenfassen:

Eine Kreatin-Supplementierung steigerte zwar das Muskelwachstum, aber die gepoolte Effektgröße fiel mit ES = 0,11 in der Tat eher winzig, also „trivial“ aus. Dieser nur geringfügige Effekt wurde bei allen untersuchten Muskelgruppen beobachtet: Ellenbogenbeuger, Ellenbogenstrecker, Kniebeuger und Kniestrecker.

Burke et al.; 2023: The Effects of Creatine Supplementation Combined with Resistance Training on Regional Measures of Muscle Hypertrophy: A Systematic Review with Meta-Analysis

Bei jüngeren Erwachsenen (Durchschnittsalter 23,5 Jahre) war die Wirkung offenbar etwas größer als bei den Älteren (61,6). Bei Studien mit kürzeren Laufzeiten (6 – 16 Wochen) war der Effekt ebenfalls relativ größer als bei den längeren Studien (ein Jahr). Auf jeden Fall lässt sich sehr wohl konstatieren, dass Kreatin nicht so wirksam ist, wie man es uns bislang immer glauben machen wollte.

Lassen Sie uns aber noch einmal auf die Effektgrößen zurückkommen. Es gibt grundsätzlich verschiedene Arten von Effektgrößen. Was in den meisten Meta-Analysen, so auch in der vorliegenden, zur Anwendung kommt, sind die standardisierten mittleren Unterschiede in der Cohen’s D-Familie. Wenn zum Beispiel eine standardisierte Mittelwertdifferenz von 0,4 innerhalb einer Gruppe festgestellt wird, dann bedeutet dies, dass sich die Ergebnisgröße um 0,4 Standardabweichungen verändert hat.

Ich möchte versuchen, das Ganze an einem Beispiel klarer zu machen:

Nehmen wir einmal an, es gibt zwei Gruppen, die vor dem Training beim Bankdrücken jeweils ein 1RM von 100 ± 10 kg (Mittelwert ± Standardabweichung) erreichen. Die Gruppe 1 führt dann die Intervention A durch und die Gruppe 2 entsprechend das Programm B. Nach der Studie hat Gruppe 1 ihr 1RM um durchschnittlich 10 kg gesteigert, Gruppe 2 um 15 kg. Daraus würden sich folgende Effektgrößen ergeben:

Gruppe 1: 10 kg / 10 kg = 1,0

Gruppe 2: 15 kg / 10 kg = 1,5

 

Effektgrößen-Klassifikationen nach Cohen (1988):

Trivial            < 0,20

Klein              0,20 bis 0,49

Mittel             0,50 bis 0,80

Groß               > 0,80

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Diese Effektgrößenangaben stammen ursprünglich also aus einem Lehrbuch von 1988 über die statistische Aussagekraft in der Psychologie. Jacob Cohen hatte damit magnitudenbasierte Effektgrößen sozusagen populär gemacht. Er gab damit Psychologen und Verhaltensforschern ein Rezept in die Hand, wie sie die Ergebnisse ihrer Fachgebiete interpretieren können.

Sie merken schon, dass es offenbar stark auf den Kontext ankommt. In Situationen, in denen große Veränderungen geradezu üblich sind, ist ein standardisierter mittlerer Unterschied von 1,0 eher ein kleiner Effekt.

Aber überall dort, wo schon kleine Veränderungen riesige Konsequenzen mit sich bringen, kann ein standardisierter Mittelwertunterschied von 0,3 geradezu zu einer Katastrophe führen.

Um auf den Sport zurückzukommen, nehmen wir einmal einen Anfänger, der auf eine Kraftdreikampfleistung (Kniebeuge + Bankdrücken + Kreuzheben) von 300 ± 30 kg kommt. Ein Weltklasse-Kraftdreikämpfer erreicht spielend 800 ± 30 kg. Beide können sich im Verlaufe eines Jahres um 30 kg steigern, doch das Maß der Freude darüber ist sehr unterschiedlich. Warum ist das so?

Ein untrainierter Kraftdreikämpfer sollte im Laufe eines Trainingsjahres eigentlich mehr als 30 kg zulegen, das heißt, ein standardisierter Mittelwertunterschied von 1,0 würde in diesem Fall auf einen eher mäßigen Erfolg hindeuten.

Auf der anderen Seite wäre ein Weltklasse-Kraftdreikämpfer überglücklich, wenn er in Jahresfrist noch weitere 30 kg aufbauen könnte. Bei ihm wäre ein standardisierter Mittelwertunterschied von 1,0 ein wirklich großer Effekt.

Da diese Überlegungen in der Tat sehr naheliegend sind, schlug Dr. Matthew Rhea schon 2004 vor, gerade beim Krafttraining unterschiedliche Bewertungen der Effektstärken in Abhängigkeit vom Trainingszustand der Probanden zu verwenden (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15574101/). Die Tabelle, die er vorschlug, sieht folgendermaßen aus:

 

*Magnitude  untrainierte Personen        Freizeitsportler        Leistungssportler*

Trivial            < 0,50                                    < 0,35                        < 0,25

Klein              0,5 – 1,24                              0,35 – 0,79                0,25 – 0,49

Mittel             1,25 – 2,0                              0,80 – 1,50               0,50 – 1,0

Groß               > 2,0                                      > 1,50                        > 1,0

 

*Als untrainierte Personen gelten hierbei Personen, die mindestens ein Jahr lang keinen Sport betrieben haben, Freizeitsportler gehen ein bis fünf Jahre lang regelmäßig sportlichen Betätigungen nach und Leistungssportler trainieren intensiv mindestens seit fünf Jahren.*

Tatsächlich haben die Autoren der vorliegenden Kreatin-Metaanalyse Effektgrößeninterpretationen verwendet, die speziell für die Kraft- und Konditionsforschung entwickelt worden sind, um von den alten Schwellenwerten der Verhaltenswissenschaften wegzukommen. In 2022 veröffentlichten Swinton und Murphy daher diese moderne Effektgrößen-Klassifikation:

 

Trivial            < 0,14

Klein              0,14 – 0,28

Mittel             0,29 – 0,50

Groß               > 0,50

 

Diese Werte wurden aus verschiedenen Studien unter Berücksichtigung von Kraftergebnissen, Sprunghöhen, Sprintzeiten, Kraftleistungen und Beweglichkeitsmessungen abgeleitet. Betrachtungen zur Hypertrophie spielten hierbei aber keine Rolle. Nur eine Studie von Steele et al. (2022) dokumentiert typische Effektgrößen, die sowohl in der Kraft- als auch in der Hypertrophieforschung beobachtet werden.

Um die Effektgrößenklassifikationen von Swinton und Murphy auch für die Hypertrophieforschung relevant zu gestalten, sollten sie proportional skaliert werden. Dazu sollte man wissen, dass die durchschnittliche standardisierte Mittelwertdifferenz innerhalb einer Gruppe für Hypertrophie-Ergebnisse 0,34 beträgt, das sind nur 39 Prozent der durchschnittlichen standardisierten Mittelwertdifferenz einer Gruppe für Kraft-Ergebnisse (0,87).

Wenn wir auf dieser realen Basis proportional skalierte Interpretationsschwellen einführen, ergibt sich die folgende grobe Effektgrößen-Klassifizierung für Hypertrophie-Ergebnisse:

 

Trivial            < 0,055

Klein              0,055 – 0,10

Mittel             0,11 – 0,20

Groß               > 0,20

 

Gestützt auf diese Interpretationsschwellen darf die vorliegende Meta-Analyse so interpretiert werden, dass Kreatin tatsächlich eine kleine bis mittlere Wirkung auf das Muskelwachstum hat, wobei triviale bis kleine Effekte bei älteren Erwachsenen und mittlere bis große Effekte bei jüngeren Erwachsenen beobachtet werden.

Auf der anderen Seite sollte man sich von derartigen (willkürlichen) Klassifizierungen auch nicht verrückt machen lassen. Schauen Sie sich doch einfach an, um wie viele Standardabweichungen sich eine bestimmte Größe verändert hat, und entscheiden dann selbst, ob es sich um eine relativ kleine oder eben um eine große Veränderung beziehungsweise Unterschied zwischen Kohorten handelt.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Der durchschnittliche standardisierte Mittelwertunterschied für Hypertrophie-Ergebnisse innerhalb einer Gruppe beträgt in der sportwissenschaftlichen Forschung 0,34. Das heißt, die Muskelgröße nimmt nach einer Trainingsmaßnahme im Durchschnitt um 0,34 Standardabweichungen zu. Die hier diskutierte Meta-Analyse weist darauf hin, dass Kreatin eine zusätzliche Wirkung auf die Hypertrophie hat, die sich in einer standardisierten mittleren Differenz von 0,11 ausdrückt.

Die Einnahme von Kreatin führt also zu einer zusätzlichen Zunahme der Muskelgröße um 0,11 Standardabweichungen oder anders ausgedrückt: Die Rate oder Geschwindigkeit des Muskelaufbaus ist mit Kreatin um circa 33 Prozent größer.

Das ist ganz und gar nicht nur ein trivialer Effekt, der im Übrigen in guter Übereinstimmung mit vielen anderen Hypertrophie-Studien steht.

Abgesehen davon, dass Menschen sehr unterschiedlich beziehungsweise individuell auf Kreatin reagieren, gibt diese Meta-Analyse auch einen Hinweis darauf, dass die Wirkung von Kreatin möglicherweise mit der Zeit nachlässt, denn die Effektgrößen waren in Studien mit kurzen Laufzeiten tendenziell größer als in den Studien mit längeren Laufzeiten.

Abschließend noch ein paar kritische Anmerkungen zur vorliegenden Meta-Analyse:

  1. Die (scheinbaren) relativen Wirkungen von Kreatin nehmen mit der Zeit ab. Bei direkten Messungen der Hypertrophie spielt Flüssigkeitsretention nur eine untergeordnete Rolle. Anders bei Messungen der fettfreien Masse: Hierbei erhöht Kreatin wahrscheinlich graduell den intramuskulären Wassergehalt. Daher könnte es sehr wohl sein, dass kurzfristige Studien die Wirkung von Kreatin auf die Hypertrophie überschätzen. Erst über längere Zeiträume hinweg lässt sich offenbar die Kreatin-Wirkung wirklich bewerten.
  2. Dieser zeitliche Effekt könnte aber auch allein auf das Alter der Teilnehmer zurückgeführt werden, da an den Langzeitstudien vor allem ältere Probanden beteiligt waren. Kurzzeit- und Langzeitstudien, die ausschließlich ältere Erwachsene einbezogen, kamen nämlich zu weitgehend ähnlichen Ergebnissen. Es ist durchaus plausibel, dass ältere Erwachsene generell eine geringere Hypertrophie erfahren.
  3. Diese Meta-Analyse bestätigt all jene, die schon immer der Meinung waren, dass die Einnahme von Kreatin das Muskelwachstum nicht gleich verdoppelt, aber immerhin einen positiven Beitrag leistet.
  4. Viele Sportler nehmen die Einordnungen der Effektgrößen „trivial, klein, mittel, groß“ viel zu ernst und betrachten das Ganze zu wenig in seinem Kontext.

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Dieser Beitrag wurde am 12.08.2023 erstellt.